Bild und Wort

Zu den neuen Arbeiten von Claudia Katz

Bilder und Worte

Die Arbeit mit rapportartigen Motivreihungen führte Claudia Katz 1992 zur grundsätzlichen Frage: Was geschieht mit einem Bild, wenn es sich wiederholt – wird es in seiner Wirkung gesteigert oder verschlissen? Natürlich ging es nicht darum, auf diese angesichts der allgegenwärtigen Bilderflut der Massenmedien heute so brisante Frage eine Antwort zu finden, die ohnehin höchst ambivalent ausfallen müsste. Vielmehr wurde eben die medientypische Verbindung von Bild und Wort – das für die Künstlerin schon immer ein Ausdrucksmittel war, aber nun erstmals Teil der Malerei wurde – zum Ausgangspunkt einer neuen Schaffensphase. Aufschlussreich sind hier gerade die äusserlichen Anklänge an die Werbung, wo sich Bild und Text auf welchen Umwegen auch immer gegenseitig bestätigen und verdeutlichen – während sie hier in irritierender Weise eben nie wirklich zusammenfinden.

Wegweisend wurde die Auseinandersetzung mit Denkern wie Cioran und Jabös, eine Haltung, die alles scheinbar Feststehende immer wieder in Frage stellt. Auf die künstlerische Praxis übertragen: Kann ein Bild, wenn es wiederholt wird, schon angesichts der inzwischen verflossenen Zeit, überhaupt noch dasselbe sein? Claudia Katz hat einzelne Motive, die sie vorzugsweise auf Fotografien fand, mehrfach gemalt und jedesmal mit einem anderen Wort überschrieben. (Zuweilen war es umgekehrt ein irritierender Wortfund, der die Suche nach einem Bild in Gang setzte.) Dieses Wort – und das ist sehr wesentlich – meint aber nie den Titel des Bildes, sondern ist gleichberechtigter Teil von ihm und regt an zu assoziationsreich wuchernden Bilddeutungen. Ausgangspunkt ist letztlich eine elementare Schwierigkeit im Umgang mit Malerei: die hier ad absurdum geführte weitverbreitete Meinung, eines Kunstwerks schon durch Kenntnis seines Titels «habhaft» zu werden.

Magrittes fundamentale Einsicht, dass ein Bild nie mit dem identisch ist, was es abbildet, wird hier gleichsam auf eine neue Ebene übergeführt: Auch das Bild ist in der Wiederholung nicht mehr sich selber. Und aus solcher Reflexion heraus ist das Malen nach dem «Ende der Malerei» noch/wieder möglich: So nahe hier eine technische Reproduktion läge, malt die Künstlerin jedes einzelne Bild mit allen unwägbaren Abweichungen neu. Aus der elementaren Lust am Malen heraus bekommen ihre Arbeiten, über die charakteristische Bild-Text- Konfrontation hinaus, ihre lndividualität – weit mehr als durch einen ausgeprägt persönlichen Stil, der im Zeichen der stetigen Reflexion über das Malen einer Erkundung stilistischer Möglichkeiten weicht. Betonter Wille zum Handwerklichen und dankbare Wahrnehmung der schier unbeschränkten technischen Möglichkeiten des Computerzeitalters begegnen und durchdringen sich hier in spannungsvollem Widerspruch: Das Schrift-Bild der einzelnen Worte wird zwar aus den Vorschlägen des Computers ausgewählt, aber schliesslich ohne Schablone von Hand aufgetragen, gewinnt eben daraus seine malerische Wirkung. Die Farbgebung erfolgt dabei aus kompositorischen Ueberlegungen heraus: Das Wort «fremd» definiert sich schon durch seinen «disharmonischen» Widerspruch zum Hintergrund – und darüber hinaus durch den Kontrast zu zwei «identischen» Bildern ohne Schriftzug.

Stehen am Anfang dieser Schaffensperiode meist längere Bildreihen, führte eine zunehmende Konzentration der Ausdrucksmöglichkeiten über vielfältige Zwischenstufen schliesslich bis hin zum (entsprechend komplexen) Einzelbild. ln einem Diptychon, das eine in der Landschaft stehende Baumreihe mit den Worten «Bestand» beziehungsweise «Durchzug» überschreibt, verdeutlicht der Titel «Heimatkunde» die Aktualität dieser Komposition: Ob man nun eher in den Bäumen einen Schutzwall oder in den Freiräumen zwischen ihnen den befreienden Durchblick erkennt, ist offensichtlich eine Frage der (auch politisch orientierten) Wahrnehmung. Natürlich wollen diese Wort-Bilder keineswegs das Zeitgeschehen illustrieren. Aber die mit ihnen vermittelte Erfahrung des heutigen Verlustes von gesicherten Standpunkten, von eindeutigen Erkenntnissen ist keineswegs philosophische Spekulation, sondern in einem Masse existentiell erlitten, das solche aktuellen Bezüge selbstverständlich mitschwingen lässt. Aehnlich irritierend ist viermal das gleiche Landschaftsbild je mit der Bezeichnung einer Jahreszeit überschrieben und ist doch keiner von ihnen eindeutig zuzuordnen: eine lnfragestellung des natürlichen Jahreskreislaufes, die angesichts gravierender Umweltveränderungen durchaus erlebbar geworden ist.

Es können aber auch zwei verschiedene Bilder, die dank gegensätzlicher Farbgebung wie Positiv und Negativ erscheinen, mit demselben Wort überschrieben werden: «lnhalt» lässt nach dem kaum verbindlich wahrnehmbaren lneinander von lnnen- und Aussenraum, von Fülle und Leere, aber wieder auf die verbale Ebene kippend eben auch nach der «Aussage» eines Kunstwerks, ob und inwiefern es sie denn überhaupt gibt, fragen. Der Verlust der Orientierung, den das Wort-Bild bewusst machen, aber nicht beheben kann, gewinnt elementare Anschaulichkeit, wenn die Ortsbezeichnung «Carrara» vor das ortslose Nirgendwo einer Himmelslandschaft gerückt ist – und zugleich der nächstliegende Gedanke an den schweren Carrara-Marmor im grössten Gegensatz zur gegenstandslosen Leichtigkeit der Wolkengebilde steht.

Und dann ist es wieder ein mit klarer Bedeutung versehenes Wort, das vor einem ähnlichen Hintergrund rätselhaft-vieldeutig wird: Der so poetisch klingende «Aschensee» im Bild «Aus Vergessenem» meinte im Konzentrationslager Buchenwald den See, in den die Asche der Toten versenkt wurde – die Wolken werden so auch als der Rauch aus den Verbrennungsöfen «lesbar». lrritierend zwischen Sprache und Malerei steht das Wort «Feindbild», das ja nie ein (gemaltes) Bild meint – und nun dazu wird: Vage an Weihnachtsschmuck erinnerndes, zu Boden sinkendes «Zerbrechliches» – so der Bildtitel – sieht sich in seiner Verletzlichkeit dem aggressiven Schriftzug ausgesetzt. Auch hier wird keine Entscheidung für die Malerei oder die Sprache getroffen, die fliessend ineinander übergehend erst das Ganze ausmachen.

Völlig anders gestaltet sich die Beziehung in den parallel zu den Bildern entstehenden (Kohle- und Bleistift-)Zeichnungen: «Schriftlich» ist an ihnen der dem Schreiben verwandte, fast automatische Gestus, aus dem sich aber intuitiv ein Bildwort herauskristallisieren kann, mit dem das Blatt denn auch meist vollendet ist. Entsprechend steht hier den Computerzeichen der Bilder die persönliche Handschrift gegenüber.

Oktober 1995. Martin Kraft